#06 • El Calafate bis Punta Arenas, Kehrseiten der Medaille

Nachdem ich El Calafate verlassen habe, befinde ich mich wieder in der Pampa. Erst pustet mich ein kräftiger Westwind einen 500m hohen Berg hoch, an dessen Ende sich in südlicher Richtung eine riesige Hochebene mit unendlichen Weiten anschließt. Dann habe ich so kräftigen Seitenwind, dass das Fahren äußerst beschwerlich ist und kaum mehr als Schrittgeschwindigkeit möglich ist. Am nächsten Tag habe ich den selben Wind von vorn und als nach etwa 35 harten Kilometern ein Transporter hält und mir netterweise die Mitnahme und Kaffee angeboten wird, zögere ich keine Sekunde. Der Wind und die Böen sind hier so heftig, dass jegliche Fahrfreude davongepustet wird. Durch die etwa dreiviertelstündige Autofahrt bis zur chilenischen Grenze von 40km spare ich sicherlich einen ganzen Tag Kampfradelns ein. Erneut in Chile, geht es nun Richtung Nationalpark Torres del Paine. Meine Hoffnung, dass es hier durch die Berge etwas weniger windig sein würde, wird leider enttäuscht. Ich finde einen wunderschönen illegalen Übernachtungsplatz mit Blick auf die berühmten drei turmartigen Berge, den Namensgebern des Parks, Torres del Paine. Nachts um drei werde ich von heftigen Böen, die gegen das Zelt schlagen, geweckt. Es hat angefangen zu regnen, wodurch sich der Zeltstoff ausdehnt und lautstark flattert. Ich spanne das Zelt genervt nach, aber ich kann ruhig weiterschlafen. Gegen Morgen hört der Regen wieder auf, doch als ich später das Zelt abbaue, bemerke ich eine unangenehme Überraschung: Mein Zelt hat durch die heftigen Böen zwei ordentliche Risse bekommen, zum Glück an unkritischer Stelle. Da das Zelt jedoch recht teuer war und erst viereinhalb Jahre alt ist, bin ich doch recht enttäuscht. Ich vermute stark, dass das das UV-Licht den Stoff geschwächt hat. Immerhin habe ich bereits rund 250 Nächte darin verbracht.
Die Landschaft im Nationalpark ist einerseits atemberaubend schön und es gibt sehr viele Guanacos und Nandus, aber der Wind setzt mir zu und führt zu einem Tage anhaltenden Stimmungstief.
In Puerto Natales angekommen, treffe ich viele bekannte Radler wieder, die alle den Park wegen des heftigen Windes gar nicht oder nicht mit dem Fahrrad besucht haben.
Mein nächstes Ziel ist Punta Arenas, an der Magellanstraße gelegen. Da ich früh wach werde und für den nächsten Tag Gegenwind erwartet wird, kommt mir der Gedanke, die Strecke in einem Tag zu versuchen. Schon um 7.45 Uhr sitze ich im Sattel und vefolge grob folgendes Schema: Zwei Stunden Radfahren, 15 Minuten Pause. Etwa die Hälfte der Stecke habe ich teils kräftigen Rückenwind, den Rest Seiten- oder keinen Wind. Nach 13 Stunden und 11 Stunden Fahrzeit komme in in Punta Arenas mit einem breiten Grinsen im Gesicht an. Nach der leider noch schwierigen Zeltplatzsuche stehen 259km auf dem Tacho, mein persönlicher Tagesrekord. Das letzte Mal habe ich so einen Quatsch gemacht, als ich 16 war. Aber es hat unheimlichen Spaß gemacht und ich wollte einfach wissen, was geht.

Dass als Radfahrer der Regen just dann wieder aufhört, wenn man sich gerade mühsam in die Regenklamotten gezwängt hat oder es andererseits fürchterlich zu schütten beginnt, wenn man darauf verzichtet hat („…zieht vorbei…“), kennt man nur zu gut auch aus unseren Gefilden. Das ist hier nicht anders, sei dem Wettergott (oder der Göttin -;)) diese Freude gegönnt. Hier gibt es allerdings ein paar spezielle Gemeinheiten, von denen ich folgende vorstellen möchte: So hat man manchmal nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Beispielsweise inhaliert und schluckt man auf den Schotterpisten jede Menge Staub, wenn man von Autos (oder noch fieser LKW) überholt wird – oder es regnet eben, dafür aber ist es aber staubfrei. Bei Windstille in den Bergen ärgert man sich gerne über Pferdebremsen, Mücken und Midges, ist es hingegen windig, so kämpft man meist gegen ihn an und das Zelt rüttelt des nachts so lautstark, dass man um den Schlaf gebracht wird.
In der Pampa gibt es einige sehr anhängliche Pflanzen, von denen hier eine erwähnt sei: An Niedertracht schwerlich zu überbieten sind die kaum linsengroßen, morgensternartig mit Stacheln bewehrten Kletten, die an langen Stängeln auf Körperkontakt warten. Ich erinnere mich ungern an eine traumhaft schöne Wiese in einer Bucht am türkisgrünen Lago Carrera und freute mich zunächst über den herrlichen Übernachtungsplatz. Nach wenigen Schritten bemerkte ich das Piksen in der Sockengegend. Trotz halbstündiger Suche fand ich keinen klettenfreien Platz, so dass ich zwecks Schonung von aufblasbarer Isomatte und Zelt die Flucht antrat. Versucht man die Plagegeister zu entfernen, brechen sie Stacheln gerne in der Haut ab, um dort tagelang zu schmerzen. Die Socken gingen in den Müll. Perfekte Widerlichkeiten.

Bedauerlicherweise scheint mein anfänglich hoher Avocadokonsum zu Lieferengpässen in den südlichen Landesregionen geführt zu haben, weshalb mein täglicher Bedarf ebendort nicht annäherungsweise gedeckt werden konnte. Der kalte Entzug war hart. Die Summe der bislang verzehrten Avocados beträgt deshalb nur 148.

Ein Kommentar zu „#06 • El Calafate bis Punta Arenas, Kehrseiten der Medaille

  1. Was für ein Himmel, was ein fantastisch, märchenhafter Landschaft. So schöööööööööön…..die Dornen sieht man auf den Bilder eben nicht obwohl…..das Bild was mir laut zum lachen brachte waren von deine Socken voller Kletten.

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