#07 • Feuerland

Mein nächstes Ziel ist die Insel Feuerland, die etwa je hälftig zu Chile und Argentinien gehört und ab Punta Arenas per Fähre Über die Magellanstraße zu erreichen ist. Am Anleger treffe ich Nilton wieder, einen sehr sympathischen brasilianischen Reiseradler, mit dem ich die folgenden zwei Wochen zusammen reisen werde. Der Endpunkt meiner Reise ist die südlichste Stadt der Welt Ushuaia. Da Nilton und ich noch recht viel Zeit haben, wählen wir nicht die kürzeste Route dorthin, sondern einen größeren Umweg auf wenig befahrenen Schotterpisten durch eine reizvollere Landschaft. Da es hier allerdings kaum Einkaufsmöglichkeiten gibt, müssen wir Essen für drei bis vier Tage mitschleppen.
Die Landschaft besteht aus Weideland oder Pampa mit sanften Hügeln und ist zunächst baumlos. Wir fahren regelmäßig am Wasser entlang und haben das das Riesenglück, in Ufernähe Delfine bei der Jagd beobachten zu können. Die ersten anderthalb Tage haben wir kräftigen Rückenwind und finden in einem Flusstal einer Kuhweide einen windgeschütztes Plätzchen zum Übernachten. Dort entdecke ich einen großen Biber, einer eigentlich hier nicht heimischen Art, die aus Nordamerika wegen seines dichten Fells eingeführt wurde. Ich bin überrascht, da es hier keinerlei Bäume gibt und er in dem teils unterirdischen und recht kleinen Bach zu leben scheint.
Unsere zweite Nacht hoffen wir in einem ungenutzten Bushäuschen verbringen zu können, das unter Reiseradlern beliebt ist. Allerdings haben sich hier bereits vier Reiseradler einquartiert, so dass wir es vorziehen, im Windschatten eines leerstehenden Hauses zu zelten.
Am nächsten Tag besuchen wir die einzige Königspinguin-Kolonie Patagoniens, die aus etwa 40 Brutpaaren besteht. Ich bin begeistert von der Schönheit der Vögel und es ist ein Erlebnis, sie beim Füttern ihres Nachwuches beobachten zu können.
Nach drei Tagen erreichen wir den Ort Cameron, wo ich den einzigen und winzigen Minimercado verschlossen vorfinde. Um die Öffnungszeiten zu erfragen, marschiere ich in eines der Verwaltungsgebäude, wo ich zufällig auf den Bürgermeister treffe, der für mich netterweise die Verkäuferin des Ladens anruft und sie in den Laden bittet. Dort gibt es etwa zwölf Produkte, davon die Hälfte alkoholische Getränke. Ich ergattere einen Kilo Reis und drei Packungen Kekse. Am nächsten Tag gibt es also morgen Reis mit Keksen und abends Kekse mit Reis. Hm. Zum Glück erreichen wir am übernächsten Tag eine abgelegene Holzfabrik, in der es eine Kantine gibt, die an zahlungsfreudige Gäste Essen ausgibt. Erfreulicherweise kommt man meiner Bitte nach, mir etwas Gulaschsoße in eine Tupperdose abzufüllen, so dass meine Reisdiät nun deutlich aufgewertet wird. In der kommenden Nacht zelten wir in einem windstillen und weitem Flusstal mit vielen Nachbarn in Gestalt von Guanacos. Die sternenklare Nacht wird mit -7° die kälteste meiner Reise und ich sehe von einem morgendlichen Bad im Flusse ausnahmsweise ab ;-). Am nächsten Tag passieren wir die argentinische Grenze und finden in einer Blechhütte für die Schafschur Schutz vor dem nervtötenden Wind, so dass wir essen können, ohne das einem die Wurst vom Teller weht und man ihr hinterherlaufen muss. Abends erreichen den Atlantik und kämpfen uns ein kräfteraubendes Stück gen Norden in die größere Stadt Rio Grande, um unsere Vorräte aufzufüllen. Dort gibt es keinen Campingplatz, aber einen kleinen Garten eines Privathauses, dessen wunderbare Besitzerin Garciela zeltende Gäste aufnimmt. Da die Windvorhersage für den kommenden Tag mit Windstärke sechs und Böen bis neun bei Seitenwind nichts Gutes verheißt, legen wir einen Ruhetag ein.
In den kommenden drei Tagen fahren wir weiter gen Süden über Schotterpisten und finden einen wunderschönen Übernachtungsplatz am Lago Yehuin. Wir fahren durch viele märchenhafte Wälder, deren Bäume dicht mit Flechten behangen sind und sehen hunderte von Guanacos, die mit Leichtigkeit und Eleganz die Weidezäune überspringen, was immer wieder schön anzuschauen ist.
Nach drei Tagen erreichen wir die kleine Stadt Tolhuin, in der ein Campingplatzbesitzer seit 27 Jahren seine beeindruckende Kreativität auslebt (Fotos). Nun geht es leider ein Stück westwärts, d.h. gegen den Wind, der mich zunehmend nervt. Am kommenden Abend finden wir einen herrlichen Übernachtungsplatz an einem flachen Strand eines von Bergen umsäumten Sees. Als ich morgens aufwache und ich die Proppen aus meinen Ohren ploppe, vernehme ich lauteste südamerikanische Musik. Einen argentinische Angler beglückt den ganzen See mit den Klängen seiner tollen Auto-Stereoanlage. Mein Reisepartner hat nicht so lange schlafen können und schaut etwas unwirsch aus der Wäsche, als ich ihn stirnrunzelnd begrüße.
Erneut führt der Weg ein größeres Stück westwärts, d.h. gegen den uneinsichtigen Wind, mit dem ich mich immer schlechter verstehe und der mich zu zermürben beginnt.
Am Beagle-Kanal angekommen, machen wir noch einen Zwei-Tages-Ausflug zur Estancia Haberton, wo ist ein vielversprechendes Meeressäugermuseum zu besichtigen gilt.
Nach der sehr interessanten Führung am kommenden Tag, machen wir uns im strömenden Regen auf den Rückweg und erreichen einen kleinen See, an dem wir übernachten. Zum Glück scheint am nächsten Morgen wieder die Sonne, so dass wir all unsere nassen Sachen trocknen können. Nun geht es nach Ushuaia, der Weg dorthin führt durch wunderschöne Berglandschaften, den südlichsten Ausläufern der Anden, die hier nach 7.500 km Länge enden. Erstaunlich emotionslos erreiche ich nach knapp 4400 km mein Ziel Ushuaia, wo ich mit Nilton am Stadtrand zwei entspannte und kalorienreiche Tage auf einem kleinen Campingplatz verbringe. Die vergangenen Wochen waren zwar sehr erlebnisreich und schön, aber auch oft sehr anstrengend. Ich fühle mich ausgelaugt und bin froh, vorerst nicht Radfahren zu brauchen. Mit dem Bus geht es zurück nach Punta Arenas in Chile, von wo ich einen Flieger nach Santiago gebucht habe. Hier verbringe ich weitere zwei Tage um in Ruhe zu packen. Von hier geht es am Folgetag zurück über Paris nach Hamburg.

Meine drei Damen holen mich netterweise vom Flughafen ab, die Freude des Wiedersehens ist allerseits bemerkenswert. In den kommenden Tagen genieße ich die Anwesenheit meiner Familie und sonst so alltägliche Dinge wie tägliches Duschen, saubere Wäsche, zahlreiche Lebensmittel und und ein wohliges Bett.

Fazit: Dasch’n Ding.

Die geradelte Strecke kann man sich hier bei google maps anschauen.

 

 

 

 

#06 • El Calafate bis Punta Arenas, Kehrseiten der Medaille

Nachdem ich El Calafate verlassen habe, befinde ich mich wieder in der Pampa. Erst pustet mich ein kräftiger Westwind einen 500m hohen Berg hoch, an dessen Ende sich in südlicher Richtung eine riesige Hochebene mit unendlichen Weiten anschließt. Dann habe ich so kräftigen Seitenwind, dass das Fahren äußerst beschwerlich ist und kaum mehr als Schrittgeschwindigkeit möglich ist. Am nächsten Tag habe ich den selben Wind von vorn und als nach etwa 35 harten Kilometern ein Transporter hält und mir netterweise die Mitnahme und Kaffee angeboten wird, zögere ich keine Sekunde. Der Wind und die Böen sind hier so heftig, dass jegliche Fahrfreude davongepustet wird. Durch die etwa dreiviertelstündige Autofahrt bis zur chilenischen Grenze von 40km spare ich sicherlich einen ganzen Tag Kampfradelns ein. Erneut in Chile, geht es nun Richtung Nationalpark Torres del Paine. Meine Hoffnung, dass es hier durch die Berge etwas weniger windig sein würde, wird leider enttäuscht. Ich finde einen wunderschönen illegalen Übernachtungsplatz mit Blick auf die berühmten drei turmartigen Berge, den Namensgebern des Parks, Torres del Paine. Nachts um drei werde ich von heftigen Böen, die gegen das Zelt schlagen, geweckt. Es hat angefangen zu regnen, wodurch sich der Zeltstoff ausdehnt und lautstark flattert. Ich spanne das Zelt genervt nach, aber ich kann ruhig weiterschlafen. Gegen Morgen hört der Regen wieder auf, doch als ich später das Zelt abbaue, bemerke ich eine unangenehme Überraschung: Mein Zelt hat durch die heftigen Böen zwei ordentliche Risse bekommen, zum Glück an unkritischer Stelle. Da das Zelt jedoch recht teuer war und erst viereinhalb Jahre alt ist, bin ich doch recht enttäuscht. Ich vermute stark, dass das das UV-Licht den Stoff geschwächt hat. Immerhin habe ich bereits rund 250 Nächte darin verbracht.
Die Landschaft im Nationalpark ist einerseits atemberaubend schön und es gibt sehr viele Guanacos und Nandus, aber der Wind setzt mir zu und führt zu einem Tage anhaltenden Stimmungstief.
In Puerto Natales angekommen, treffe ich viele bekannte Radler wieder, die alle den Park wegen des heftigen Windes gar nicht oder nicht mit dem Fahrrad besucht haben.
Mein nächstes Ziel ist Punta Arenas, an der Magellanstraße gelegen. Da ich früh wach werde und für den nächsten Tag Gegenwind erwartet wird, kommt mir der Gedanke, die Strecke in einem Tag zu versuchen. Schon um 7.45 Uhr sitze ich im Sattel und vefolge grob folgendes Schema: Zwei Stunden Radfahren, 15 Minuten Pause. Etwa die Hälfte der Stecke habe ich teils kräftigen Rückenwind, den Rest Seiten- oder keinen Wind. Nach 13 Stunden und 11 Stunden Fahrzeit komme in in Punta Arenas mit einem breiten Grinsen im Gesicht an. Nach der leider noch schwierigen Zeltplatzsuche stehen 259km auf dem Tacho, mein persönlicher Tagesrekord. Das letzte Mal habe ich so einen Quatsch gemacht, als ich 16 war. Aber es hat unheimlichen Spaß gemacht und ich wollte einfach wissen, was geht.

Dass als Radfahrer der Regen just dann wieder aufhört, wenn man sich gerade mühsam in die Regenklamotten gezwängt hat oder es andererseits fürchterlich zu schütten beginnt, wenn man darauf verzichtet hat („…zieht vorbei…“), kennt man nur zu gut auch aus unseren Gefilden. Das ist hier nicht anders, sei dem Wettergott (oder der Göttin -;)) diese Freude gegönnt. Hier gibt es allerdings ein paar spezielle Gemeinheiten, von denen ich folgende vorstellen möchte: So hat man manchmal nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Beispielsweise inhaliert und schluckt man auf den Schotterpisten jede Menge Staub, wenn man von Autos (oder noch fieser LKW) überholt wird – oder es regnet eben, dafür aber ist es aber staubfrei. Bei Windstille in den Bergen ärgert man sich gerne über Pferdebremsen, Mücken und Midges, ist es hingegen windig, so kämpft man meist gegen ihn an und das Zelt rüttelt des nachts so lautstark, dass man um den Schlaf gebracht wird.
In der Pampa gibt es einige sehr anhängliche Pflanzen, von denen hier eine erwähnt sei: An Niedertracht schwerlich zu überbieten sind die kaum linsengroßen, morgensternartig mit Stacheln bewehrten Kletten, die an langen Stängeln auf Körperkontakt warten. Ich erinnere mich ungern an eine traumhaft schöne Wiese in einer Bucht am türkisgrünen Lago Carrera und freute mich zunächst über den herrlichen Übernachtungsplatz. Nach wenigen Schritten bemerkte ich das Piksen in der Sockengegend. Trotz halbstündiger Suche fand ich keinen klettenfreien Platz, so dass ich zwecks Schonung von aufblasbarer Isomatte und Zelt die Flucht antrat. Versucht man die Plagegeister zu entfernen, brechen sie Stacheln gerne in der Haut ab, um dort tagelang zu schmerzen. Die Socken gingen in den Müll. Perfekte Widerlichkeiten.

Bedauerlicherweise scheint mein anfänglich hoher Avocadokonsum zu Lieferengpässen in den südlichen Landesregionen geführt zu haben, weshalb mein täglicher Bedarf ebendort nicht annäherungsweise gedeckt werden konnte. Der kalte Entzug war hart. Die Summe der bislang verzehrten Avocados beträgt deshalb nur 148.

#05 • Carretera Austral Teil 2, zurück in Argentinien

 

Südlich von Coyhaique findet man sich östlich der Anden wieder, die Landschaft ist weiter, meist baumlos und es ist sehr viel windiger. Je spektakulärer die Landschaft, desto windiger, so scheint die Regel zu lauten. Zwei Tage weiter, südlich der erdnusslosen Stadt Cerro Castillo, folgt ein atemberaubend schönes Feuchtgebiet zwischen zwei Bergketten, in welchem mehrere Flüsse zusammenfließen. Hier würde ich gerne mein Zelt aufschlagen, aber der Wind pustet diesen Wusch schnell davon.
Für die folgenden 500km gibt es nun keine erholsamen asphaltierten Abschnitte mehr. Ich bin immer wieder beeindruckt, wie die schnell die Landschaftsformen wechseln, die Berge bestimmen die Niederschlagsmenge, diese wiederum prägt die Vegation von Regenwald bis zu wüstenartiger Steppe. Mein Weg führt mich wieder mitten durch die Anden, entlang des Ufers des zweitgrößten Sees Südamerikas, dessen türkisfarbenes Wasser gegen den blauen Himmel fast unecht wirkt. Chile teilt sich diesen See zwar mit Argentinien, auf einen gemeinsamen Namen konnte man sich aber nicht einigen (Lago Carrera/Lago Buenos Aires).
Eine von nahezu allen Reiseradlern benutze App namens iOverlander, welche u.a. kostenlose Wildcampingplätze aufzeigt und bewertet, führt diese am Abend regelmäßig wieder zusammen, so dass sich sehr nette multinationale Begegnungen ergeben.
In Cochrane kaufe ich für mehrere Tage Lebensmittel ein, denn nun folgt ein einsamer Abschnitt, an dessen Ende nach einer Fährfahrt und weiteren 100km Schotterpiste die Carretera in einer Sackgasse im Dorf Villa O’Higgins endet. Nur Fußgänger und Radfahrer kommen hier weiter, doch leider sind zwei von drei Booten defekt, so dass viele Radler mehrere Tage warten müssen, um weiter zu kommen. Glücklicherweise habe ich bereits vor drei Tagen ein Ticket in Cochrane erworben, so dass ich einen Platz am nächsten Nachmittag bekomme. Auf den Boot finden nur 15 Leute Platz, davon sind 10 (!) Reiseradler. Noch nie bin ich auf einer Reise so vielen Reiseradlern begegnet, wie auf der südliche Hälfte der Carretera. Während ich in Deutschland oft um meine zwölf Wochen Radtour beneidet wurde, habe ich hier von geschätzten 40 Reiseradlern nur zwei getroffen, die kürzer unterwegs sind als ich. Irre. Am nächsten Morgen erfolgt die Ausreise aus Chile an einem Grenzposten, der mit neun Beamten besetzt ist, welche schätzungsweise 50 Reisende pro Tag abfertigen. Es gibt allerdings einen eigenen Fußballplatz, super Sache. Nach 16km steiler Schotterpiste erfolgt die eigentliche Grenze, die aus einem chilenischen Türmchen und einem argentinischen Schild besteht. Doch nun endet die Piste und der südwärts Drängende muss sich auf einen abenteuerlichen Wanderpfad mit matschigen und sumpfigen Passagen, Bachquerungen und tief ausgewaschenen Wegen begeben. Ein französischer Wanderer überholt mich öfters und am Ende gewinnt er tatsächlich die 22km bis zum Lago del Desierte, an dessen Ufer matte Radfahrer, Pferde und Wanderer lagern. Hier gibt es auch den ersehnten Stempel der argentinische Grenzstation in einem riesigen Raum mit winzigem Tischchen.
Hinter dem Bergwandererstädtchen El Chaltén beginnt erneut die Pampa, welchen den Wind ungebremst gewähren lässt. Doch nun habe ich Rückenwind, so stark, dass ich ohne zu treten 32km/h rolle und trotz diverser Pausen in vier Stunden 85km fahre. Dieser Nachmittag wird legendär und alle Radler schwärmen davon. Ich sehe meine ersten Guanacos und Nandus, welche den afrikanischen Straußen ähneln.
In El Calafate besuche ich den berühmten Gletscher Petito Moreno, der von einem 300km langen und 35km breiten Schneefeld gespeist (zusammen mit ca 150 weiteren Gletschern) wird und in bis zu 70m Höhe in gleich zwei Seen mündet. Der Anblick ist überwältigend und ich bin froh, den Umweg in Kauf genommen zu haben.

 

 

 

#04 • Im Regenwald, Carretera Austral

Nun beginnt der zweite Abschnitt meiner Reise, die berühmte etwa 1.300km Schotterpiste gen Süden, welche Pinochet in den Siebzigern in Auftrag gegeben hat, die noch immer nicht fertiggestellt ist und Unsummen an Geld verschlungen hat. Es ging vornehmlich um die Sicherung von Hoheitsansprüchen gegenüber Argentinien, mit dem Straßenbau und der nachfolgenden Besiedlung der Region wollte man diese sichern. Aber noch immer ist der Süden Chiles nur über Argentinien erreichbar und der Weiterbau aufgrund der hohen Kosten umstritten.

Ich starte aufgeregt am Neujahrsmorgen in Puerto Montt, wo ich den Silvesterabend mit einigen Bieren mit einem chilenischen Fischer verbracht habe. Am folgenden Abend baue ich mein Zelt 100 m entfernt von Meer auf. Ich bin begeistert vom schwarzen Delfinen und Pelikanen, die im Pazifik fischen. Gegen ein Uhr nachts werde ich von lauten Wellengeräuschen geweckt und schaue stirnrunzelnd aus dem Zelt. Nun ist das Meer nur noch vier Meter entfernt! Ich suche im Internet den Tidenkalender auf und muss feststellen, dass das Wasser noch etwa eine Stunde weiter steigen soll. Nach weiteren 20 Minuten ist das Wasser nur noch zwei Meter entfernt und ich muss die Flucht zu einen höheren Strandabschnitt antreten. Super Aktion, Kay! Der Tidenhub beträgt trägt hier 7,15 m, das ist etwa das dreifache unserer Verhältnisse an der Nordsee!

Der Anfang der Carretera ist unspektakulär, aber nach etwa 50km und zwei Fähren beginnt der Regenwald. Ich dachte bislang bei Regenwald vor allem an die Tropen, Amazonas, Afrika und sowas. Dass es auch in solch kühlen Regionen Regenwälder gibt, war mir nicht bekannt. Zunächst beeindruckt mich vor allem der ausgiebige Regen, nie zuvor habe ich auf einer Radtour solche unglaublichen Mengen anhaltenden Regens erlebt, an einigen Tagen hört der Regen nur stundenweise auf. Überall rauscht es laut von Bächen und Flüssen, welche die Straße kreuzen. Nach einer Stunde Regens bei Duschstärke ist auch die beste Regenkleidung durchweicht oder nassgeschwitzt, das Problem ist die Kleidung darunter: Ist diese einmal nass, bekommt man sie hier nicht mehr trocken.
Dennoch fühle ich mich sauwohl hier, ich bin schwer begeistert von den Farnen, Mosen und Flechten, mit denen alle Baumstämme und Äste hier dicht bewachsen sind. Und auch der Regen schlägt mir nicht aufs Gemüt, ich empfinde es als Erfolg, dem Wetter zu trotzen.

Wegen eines schweren und tragischen Erdrutsches Mitte Dezember ist ein Teil der Carretera gesperrt, deswegen muss ich von Chaitén eine eigens eingerichtete Fähre zum Umschiffen dieses Abschnittes nehmen. Ich bin froh, als die nächtliche Fahrt vorbei ist, denn der alte Rostkahn erscheint wenig vertrauenswürdig. Nach neun regenreichen Tagen freue ich mich über den ersten Tag mit viel Sonne.
In den kommenden Tagen bleibt das Wetter freundlich und ich habe sogar einige Male kräftigen Rückenwind, so dass ich ordentlich Strecke mache, das heißt hier etwa 70-80 km, Tribut an die Berge und die Piste. Bei Sonne ist die Landschaft doppelt bezaubernd, kristallklare Bäche und Flüsse sorgen für Trinkwassernachschub. Mittlerweile habe ich die knapp Hälfte der Carretera bewältigt und bin in Coyhaique, heute müsste ich die 2000km-Marke Gesamtstrecke knacken. Es ist herrlich, unterwegs zu sein!

 

#03 • Wind, Wehen, Weggefährten

Mein zweiter Tag in Argentinien wird anstrengend, die ‚brüllenden Vierziger‘, machen ihrem Namen alle Ehre. Ich fahre nordwärts gegen die vorherrschende Windrichtung. Die Windstärke beträgt sechs, die Böen haben bestimmt neun. Teilweise habe ich Schwierigkeiten, das Fahrrad schiebend zu halten. Mehrere Autofahrer haben Mitleid und fragen, ob sie mich mitnehmen sollen, ich lehne dankend ab. Ich brauche für 30 km etwa sechs Stunden. Abends wundere ich mich, warum ich keinen Appetit habe, wenig später weiß ich Bescheid: Montezumas Rache lässt mich diese Nacht sehr viel häufiger in den fantastischen Sternenhimmel bewundern, als mir lieb ist. Den nächsten Tag verbringe ich dösend im Zelt, an Weiterfahren ist nicht zu denken. Zum Glück habe ich Wasserentkeimungstabletten dabei, denn der Nähe ist nur ein großer See. Der nächste Ort ist 40km entfernt, Internet gibt’s auch nicht. Am Morgen darauf habe ich wieder Appetit und es geht weiter. Im nächsten Ort sehe ich in einem Restaurant ein verlockendes ‚all-you-can-eat‘-Angebot, da muss ich rein. Als ich mir einen Berg mit verschiedenen Fleischsorten und Pommes aufgefüllt habe, fällt mir ein, dass ich gestern ja schwächelnd daniederlag und hadere. Zu spät. Es folgt ein zweiter Fleischteller  und drei Nachtische. Später grummelt der Magen, aber dabei bleibt’s.

In den kommenden Tagen fahre ich durch das berühmte Sieben-Seen-Gebiet Argentiniens, die Landschaft ist traumhaft schön: Blaue, kristallklare Seen, dichte Wälder, hier enge, dort weite Flusstäler. Dann, hinter San Martin de los Andos folgt ein abrupter Wechsel: Weite, baumlose und steppenartige Landschaften. Über einen Abschnitt von etwa 25 km geht es leicht bergab und ich habe Rückenwind. Ich singe laut, dann keiner hört mich und ich habe das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben. Was für ein Glücksgefühl!

Es folgt eine knapp 100 km lange Schotterpiste durch ein Flusstal, die vor allem wegen der Waschbrettpassagen und des Sandes recht beschwerlich ist. Hier treffe ich Hartmut aus Gießen, einem Reiseradler, der schon zwei Jahre unterwegs ist und mit dem ich mich über eine Stunde festschnacke. Später fällt mir ein, dass man sich ja ‚Frohe Weihnachten‘ hätte wünschen können, denn es ist der erste Weihnachtsfeiertag. Hat keiner dran gedacht.

Mein Weg führt mich nordwestlich zurück Richtung Chile. Die Grenzkontrollen bezüglich der Mitnahme von frischen Lebensmitteln sind sehr streng, deswegen verdrücke ich im Niemandsland meine letzten Avocados. Während ich unter einer Araukarie sitze, halten zwei Reiseradler, von denen mir schon Hartmut berichtet hatte: Es sind Sam und Emily aus England, die vor zweieinhalb Monaten in Feuerland ihre Reise begonnen haben und über 10.000 km nach Kolumbien radeln wollen. Sie haben Fahrradrahmen aus Bambusrohr und dokumentieren ihre Reise hier. Abends im ersten chilenischen Dorf treffen wir uns beim Einkaufen wieder und essen gemeinsam. An nächsten Vormittag wundere ich mich, dass Emily mir ohne Partner und Gepäck entgegenkommt. Sie erzählt, dass sie beim Radeln eine ihrer Fahrradtaschen verloren hat, die sie jetzt sucht. Eigentlich hätte mir eine blaue Fahrradtasche auf dem Weg auffallen müssen und leider bleibt Ihre Suche ergebnislos. Ich mache Rast bei ihrem Freund 7 km weiter, wir tauschen Telefonnummern aus und bleiben über WhatsApp in Kontakt, doch die Tasche bleibt leider verschollen. Darin befand sich tragischerweise eine Drohne, mit der sie ihre Reise dokumentieren wollten, ihre Regenjacke und ihr Schlafsack. Sie beschreibt den Verlust als ‚worst case scenario‘.

Am nächsten Tag fahre ich in den Nationalpark um den Vulkan Llaima. Abends beginnt es in Strömen zu regnen und Aufstieg auf 1350m wird zur Wasserschlacht. Gleich drei Autos fragen mich, ob alles in Ordnung sei, diese Aufmerksamkeit finde ich großartig und freut mich sehr. Erst gegen neun komme ich am Campingplatz an, trotz guter Regenbekleidung bin ich völlig durchweicht. Am nächsten Morgen scheint glücklicherweise die Sonne und ich bekomme alles wieder trocken. Als ich einen Specht an seiner Bruthöhle neben meinem Zelt beobachte, bemerke ich, dass auch ein Mann daran interessiert ist. Wir kommen ins Gespräch und es stellt sich heraus, dass er ein chilenischer Naturfotograf und Führer für Fotoexpeditionen ist. Wir beginnen sofort zu fachsimpeln und ich werde netterweise zu seiner Familie zum Frühstück eingeladen. Ich werde mit einer Landkarte, einem Fotokalender, und Magnetbildern beschenkt und freue mich sehr über die Herzlichkeit und Offenheit dieser besonders sympathischen Familie.

In Temuco endet meine Rundreise durchs Seengebiet. Ich nehme einen Bus ins ca 400 km südlich gelegene Puerto Montt, wo der nächste Abschnitt beginnt, die Carretera Austral, einer ca 1300 km langen Schotterpiste gen Süden. Leider gab es hier vor ca. zwei Wochen einen tragischen Erdrutsch, so dass die Weiterfahrt hier für lange Zeit unterbrochen sein wird. Höchstwahrscheinlich werde ich eine Fähre nehmen, um diesen Abschnitt zu umschiffen.

Euch allen wünsche ich einen guten Rutsch und ein gesundes und glückliches Jahr 2018!

Ach ja, bislang verdrückte Acocados: 82 😉

 

 

 

#02 • Seen, Hunde & Avocados

In den kommen sechs Tagen klappere ich viele, teils beeindruckend große Seen ab.
Allerdings die sind asphaltierten Straßen teils stark befahren und viele Fahrer sausen mit zu wenig Abstand und zu hohem Tempo an mir vorbei. Aus einer Bambusstange und einem bunten Stück Plastikbecher als Endmarkierung bastele ich mir eine links am Rad überstehende Querstange, das hilft erstaunlich gut.
Die Nebenstraßen sind landwirtschaftlich reizvoller, sind aber sehr hügelig und fast immer Schotterwege. Sie haben auch einen weiteren unangenehmen Nachteil: Hunde.
Mein seltsames Gefährt und die schotterbedingten Fahrgeräusche sind für die meisten Hunde der Aufruf zu einer Verfolgungsjagd. Viele sind recht aggressiv und trachten nach meinen Waden, mehr als einmal bekomme ich Herzklopfen und weiche Knie. Bislang reichte Anschreien und angedeutete Wurfbewegungen. Aber die echten Steine liegen griffbereit, falls es einmal brenzlig wird.

Nun biege ich gen Osten nach Argentinien ab, in die Anden. Zunächst fahre ich an Fuße des Vulkans Osorno vorbei, der bei der letzten Schneeschmelze viele Straßenabschnitte mit Schlamm überschwemmt hat. Ich übernachte an einem wunderschönen See in den Bergen. Am kommenden Morgen sind es nur sieben Grad, ich plünne alles Mögliche an, woraufhin die Sonne durchbricht und es brütend heiß im Zelt wird. Klar.
Die Fahrt geht bei strahlend blauem Himmel weiter mit der Fähre, jetzt kann ich volle Pracht des Vulkans ohne Wolken bestaunen. Der dann folgende Abschnitt von 25km Länge durch ein weites Tal, später durch ein Flusstal ist traumhaft schön. Schneebedeckte Gipfel, Regenwald, grünes Wasser, blauer Himmel, Bäche mit Trinkwasser und kaum Autos. Ich bin begeistert!
Am nächsten Morgen schiebe ich die meine Möhre auf einen 1000m Pass, ich bin knille, aber in Argentinien! Am nächsten See angekommen, verpasse ich meine Anschlussfähre um 12 Minuten. Die nächste kommt in viereinhalb Stunden. Macht nichts, dafür sehe ich die ersten Kolibris und habe Zeit für diese Zeilen.

Verputze Avocados: 47
Nun mag manch einer denken, ich sei den den Verlockungen der chilenischen Avocados schutzlos ausgeliefert und der wahnwitzigen Völlerei anheimgefallen. Das stimmt natürlich nicht: Zum einen ist der Kalorienbedarf auf Radtouren deutlich erhöht; normales Radfahren (gepäck- und berglos) wird mit etwa 500 kcal/Std. veranschlagt, bei täglich sechsstündiger Fahrt brauche und mampfe ich etwa das dreifache meines üblichen Bedarfs. Zum andern waren auch kleine Avocados dabei (zwei :-)).

#01 • Ankunft: Red Hot Chile Papa im Seengebiet

Anfang gut, alles gut: Rad und Gepäck kommen unversehrt an, mir fällt ein Riesenstein vom Herzen! Auf der gut einstündigen Fahrt vom Flughafen zu meiner Unterkunft verbrenne ich mir die Rübe, was mir schmerzlich bewusst wird, als ich mir am nächsten Morgen die Haare wasche. Nun also mit Hut.
Ich kann nicht fassen, dass ich in Chile bin! Ob ich nun einen Flug nach Chemnitz oder Chile buche, macht kaum einen Unterschied, aber dann auf einmal hier zu sein, haut mich um. Es ist hochsommerlich warm und alles riecht total anders. Kaum jemand versteht mich. Bäume, Blumen, Himmel, Berge: Alles anders. Selbst die Sonne steht mittags im Norden, statt ordnungsgemäß im Süden. Abgesehen von Spatzen und Tauben erkenne ich keinen einzigen Vogel. Ich bin völlig begeistert und aus dem Häuschen.

Nach der Ankunft in meiner Unterkunft bin ich so aufgedreht, dass ich sofort aufbreche, um Geld zu tauschen, einzukaufen und eine Sim-Karte zu erstehen. Letzteres erweist sich als schwierig; meine Weigerung Spanisch zu lernen, rächt sich erstmals. Zurück im Zimmer frage ich mich, warum ich eigentlich noch einen Tag in Santiago verbringen soll (wie eigentlich geplant) und fahre zum Busbahnhof, wo ich ein Ticket für morgen ins 700 km südlich gelegene Temuco ergattere. Hier soll der erste Abschnitt meiner Reise, eine etwa 1.400km lange Rundtour durch das Seengebiet auf chilenischer und argentinischer Seite beginnen. In Temuco übernachte ich als einziger Gast auf einem riesigen Campingplatz, seltsam, es ist doch Hochsaison?

Drei Tage später sind die ersten 15 Avocados (superlecker hier!) und 230 km bewältigt. Die ersten beiden Tage auf dem Esel sind recht ernüchternd, da die Straßen feiertagsbedingt extrem überfüllt sind, so dass die Fahrfreude recht gedämpft ist.
Als hätten die Götter meine Gedanken gelesen, ist es heute jedoch sehr leer und zudem landschaftlich äußerst reizvoll. Ich fahre an mehreren schneebedeckten Vulkanen vorbei, unter anderem dem Villarrica, einem knapp 3000 m hohen Giganten von majestätischer Schönheit. Er ist einer der aktivsten Vulkane Chiles, vor einigen Tagen begann er netterweise zu rauchen, was heute sehr gut zu sehen war. Grandios!

Die Landschaft ist mäßig bergig, große Waldgebiete wechseln sich mit landwirtschaftlich genutzten Flächen, meist Weideland, ab. Die herrlich klaren Flüssen und Seen laden zum Baden ein, das Wasser ist allerdings fies kalt.

Mir macht die Hitze zu schaffen, so dass ich gestern und heute nur gut 60 km radle. Übermorgen sollen Wolken kommen, wie schön ;-). Allerdings frischt der Wind mächtig auf, natürlich Gegenwind, wie unschön :-(.

Das ist mein Land: Avocados überall, das Kilo für 3-4 €.