#03 • Wind, Wehen, Weggefährten

Mein zweiter Tag in Argentinien wird anstrengend, die ‚brüllenden Vierziger‘, machen ihrem Namen alle Ehre. Ich fahre nordwärts gegen die vorherrschende Windrichtung. Die Windstärke beträgt sechs, die Böen haben bestimmt neun. Teilweise habe ich Schwierigkeiten, das Fahrrad schiebend zu halten. Mehrere Autofahrer haben Mitleid und fragen, ob sie mich mitnehmen sollen, ich lehne dankend ab. Ich brauche für 30 km etwa sechs Stunden. Abends wundere ich mich, warum ich keinen Appetit habe, wenig später weiß ich Bescheid: Montezumas Rache lässt mich diese Nacht sehr viel häufiger in den fantastischen Sternenhimmel bewundern, als mir lieb ist. Den nächsten Tag verbringe ich dösend im Zelt, an Weiterfahren ist nicht zu denken. Zum Glück habe ich Wasserentkeimungstabletten dabei, denn der Nähe ist nur ein großer See. Der nächste Ort ist 40km entfernt, Internet gibt’s auch nicht. Am Morgen darauf habe ich wieder Appetit und es geht weiter. Im nächsten Ort sehe ich in einem Restaurant ein verlockendes ‚all-you-can-eat‘-Angebot, da muss ich rein. Als ich mir einen Berg mit verschiedenen Fleischsorten und Pommes aufgefüllt habe, fällt mir ein, dass ich gestern ja schwächelnd daniederlag und hadere. Zu spät. Es folgt ein zweiter Fleischteller  und drei Nachtische. Später grummelt der Magen, aber dabei bleibt’s.

In den kommenden Tagen fahre ich durch das berühmte Sieben-Seen-Gebiet Argentiniens, die Landschaft ist traumhaft schön: Blaue, kristallklare Seen, dichte Wälder, hier enge, dort weite Flusstäler. Dann, hinter San Martin de los Andos folgt ein abrupter Wechsel: Weite, baumlose und steppenartige Landschaften. Über einen Abschnitt von etwa 25 km geht es leicht bergab und ich habe Rückenwind. Ich singe laut, dann keiner hört mich und ich habe das Gefühl, alles richtig gemacht zu haben. Was für ein Glücksgefühl!

Es folgt eine knapp 100 km lange Schotterpiste durch ein Flusstal, die vor allem wegen der Waschbrettpassagen und des Sandes recht beschwerlich ist. Hier treffe ich Hartmut aus Gießen, einem Reiseradler, der schon zwei Jahre unterwegs ist und mit dem ich mich über eine Stunde festschnacke. Später fällt mir ein, dass man sich ja ‚Frohe Weihnachten‘ hätte wünschen können, denn es ist der erste Weihnachtsfeiertag. Hat keiner dran gedacht.

Mein Weg führt mich nordwestlich zurück Richtung Chile. Die Grenzkontrollen bezüglich der Mitnahme von frischen Lebensmitteln sind sehr streng, deswegen verdrücke ich im Niemandsland meine letzten Avocados. Während ich unter einer Araukarie sitze, halten zwei Reiseradler, von denen mir schon Hartmut berichtet hatte: Es sind Sam und Emily aus England, die vor zweieinhalb Monaten in Feuerland ihre Reise begonnen haben und über 10.000 km nach Kolumbien radeln wollen. Sie haben Fahrradrahmen aus Bambusrohr und dokumentieren ihre Reise hier. Abends im ersten chilenischen Dorf treffen wir uns beim Einkaufen wieder und essen gemeinsam. An nächsten Vormittag wundere ich mich, dass Emily mir ohne Partner und Gepäck entgegenkommt. Sie erzählt, dass sie beim Radeln eine ihrer Fahrradtaschen verloren hat, die sie jetzt sucht. Eigentlich hätte mir eine blaue Fahrradtasche auf dem Weg auffallen müssen und leider bleibt Ihre Suche ergebnislos. Ich mache Rast bei ihrem Freund 7 km weiter, wir tauschen Telefonnummern aus und bleiben über WhatsApp in Kontakt, doch die Tasche bleibt leider verschollen. Darin befand sich tragischerweise eine Drohne, mit der sie ihre Reise dokumentieren wollten, ihre Regenjacke und ihr Schlafsack. Sie beschreibt den Verlust als ‚worst case scenario‘.

Am nächsten Tag fahre ich in den Nationalpark um den Vulkan Llaima. Abends beginnt es in Strömen zu regnen und Aufstieg auf 1350m wird zur Wasserschlacht. Gleich drei Autos fragen mich, ob alles in Ordnung sei, diese Aufmerksamkeit finde ich großartig und freut mich sehr. Erst gegen neun komme ich am Campingplatz an, trotz guter Regenbekleidung bin ich völlig durchweicht. Am nächsten Morgen scheint glücklicherweise die Sonne und ich bekomme alles wieder trocken. Als ich einen Specht an seiner Bruthöhle neben meinem Zelt beobachte, bemerke ich, dass auch ein Mann daran interessiert ist. Wir kommen ins Gespräch und es stellt sich heraus, dass er ein chilenischer Naturfotograf und Führer für Fotoexpeditionen ist. Wir beginnen sofort zu fachsimpeln und ich werde netterweise zu seiner Familie zum Frühstück eingeladen. Ich werde mit einer Landkarte, einem Fotokalender, und Magnetbildern beschenkt und freue mich sehr über die Herzlichkeit und Offenheit dieser besonders sympathischen Familie.

In Temuco endet meine Rundreise durchs Seengebiet. Ich nehme einen Bus ins ca 400 km südlich gelegene Puerto Montt, wo der nächste Abschnitt beginnt, die Carretera Austral, einer ca 1300 km langen Schotterpiste gen Süden. Leider gab es hier vor ca. zwei Wochen einen tragischen Erdrutsch, so dass die Weiterfahrt hier für lange Zeit unterbrochen sein wird. Höchstwahrscheinlich werde ich eine Fähre nehmen, um diesen Abschnitt zu umschiffen.

Euch allen wünsche ich einen guten Rutsch und ein gesundes und glückliches Jahr 2018!

Ach ja, bislang verdrückte Acocados: 82 😉

 

 

 

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